Geheimsache GrenzüberwachungItalien schränkt Informationsfreiheit drastisch ein

Italienische Medien erhalten keine Auskunft mehr zur Zusammenarbeit ihres Landes mit der libyschen Küstenwache. Ob dort viele Millionen Euro für Ausrüstung versandet sind, kann jetzt kaum noch aufgeklärt werden. Auch die EU-Grenzagentur Frontex wird dadurch intransparenter.

Zwei große weiße Patouillenboote nebeneinander im Hafen angebunden.
Italien und die EU unterstützen Libyens Küstenwache mit Schiffen, Dokumente dazu bleiben geheim. – EU in Libya

Die italienische Regierung hat das Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten drastisch eingeschränkt. Zukünftig sollen Informationen zur grenzübergreifenden Sicherheitszusammenarbeit vor der Öffentlichkeit geheimgehalten werden. Ein entsprechendes Dekret zur Einschränkung der Informationsfreiheit hat die Innenministerin Luciana Lamorgese bereits Mitte März 2022 unterzeichnet, berichtet die Zeitung Altreconomia. Als Grund gilt die Gefährdung der nationalen Sicherheit oder Verteidigung.

Betroffen ist vor allem das zwischenstaatliche „Grenz- und Einwanderungsmanagement“ mit Nachbarländern. So werden etwa Kooperationsabkommen und technische Vereinbarungen von Militär und Polizei nicht mehr herausgegeben. Gesondert erwähnt werden in dem Dekret Informationen über „Probleme in den Grenzgebieten“.

Unklarer Verbleib von Anlagen zur Meeresüberwachung

Altreconomia ist selbst von der verweigerten Auskunft betroffen. Journalist:innen hatten erfolglos die Herausgabe einer Vereinbarung zur Lieferung von drei Schiffen an die libysche Seepolizei beantragt. Mit einer weiteren Anfrage an die staatliche Agentur für Verteidigungsindustrien (AID) beantragte die Zeitung Einsicht in ein am 21. Oktober 2021 unterzeichnetes Kooperationsabkommen verschiedener italienischer Grenzbehörden und der AID für Projekte in Libyen.

Dabei geht es um Ausrüstung für die libysche Küstenwache. Zuständig ist dafür die Zentraldirektion für Einwanderung und Grenzpolizei, die dem von Lamorgese geführten Innenministerium untersteht. Im vergangenen Jahr hatte die Abteilung neue Technik zur Meeresüberwachung nach Libyen geschickt. Die mit EU-Mitteln finanzierten Anlagen sind in Containern installiert und sollen Funktionen einer mobilen Seenotleitstelle (Maritime Rescue Coordination Center – MRCC) übernehmen. Darin sind auch Funkgeräte der deutschen Firma Rohde & Schwarz verbaut.

In einer ersten Stufe hatte die EU für die Einrichtung einer solchen Leitstelle 46 Millionen Euro bewilligt, 2018 folgten weitere 15 Millionen Euro. Womöglich sind die Mittel aber zweckentfremdet oder anderswo versickert, denn weder die EU-Kommission noch der EU-Rat können mitteilen, wo sich die von ihnen finanzierte Leitstelle befinden soll. Zuständig für die Verwaltung der EU-Gelder an Libyen ist die Agentur für Verteidigungsindustrien AID, die nun von dem neuen Dekret profitiert.

Anweisung aus Italien gilt auch für Frontex

Die Anweisung soll sogar Handlungen betreffen, die italienische Behörden im Rahmen der „internationalen polizeilichen Zusammenarbeit“ durchführen. Laut Altreconomia hat das Dekret deshalb auch Auswirkungen auf Frontex-Missionen. Demnach dürfte die in Warschau ansässige Europäische Grenzagentur auf Informationsfreiheitsanfragen keine Dokumente mehr herausgeben, wenn diese Italien betreffen. Damit würde die ohnehin schon eingeschränkte Transparenz bei Frontex weiter beschnitten.

Italien führt im Mittelmeer zwei wichtige europäische Mission an. In der Operation „Irini“ sollen EU-Militärs die Einhaltung der UN-Sanktionen zum Ölexport und Waffenhandel mit Libyen überwachen, als „Nebenaufgabe“ gilt die sogenannte „Schleuserbekämpfung“.

Das italienische Innenministerium ist zudem für die Frontex-Mission „Themis“ im Mittelmeer verantwortlich. Auch dort geht es vorgeblich um „Schleuserbekämpfung“, im Fokus steht aber die Migrationsabwehr. Inzwischen hat Frontex Schiffe in „Themis“ weitgehend abgezogen und durch bemannte und unbemannte Luftaufklärung ersetzt. Auf dem Weg nach Europa entdeckte Boote mit Geflüchteten werden häufig der libyschen Küstenwache gemeldet. Die Truppe holt die Insassen nach Libyen zurück und hält sie Lagern fest, in denen laut Bundesregierung „menschenunwürdige“ Zustände herrschen.

Kritik an „Geheimhaltungsdekret“

Details zur kritikwürdigen Kooperation mit der libyschen Küstenwache sind schon jetzt schwer zu recherchieren. Das erfuhr auch Frag den Staat, die von Frontex Informationen über eingesetzte Schiffe und Flugzeuge in „Themis“ angefragt hat. Nach einem verlorenen Widerspruchsverfahren sollte die Transparenz-Organisation über 10.000 Euro für Anwaltsgebühren an Frontex bezahlen.

Mit dem Dekret des italienischen Innenministeriums wird die journalistische Recherche nun abermals erschwert. Die Rechtsanwältin Giulia Crescini von der italienischen Association for Legal Studies on Immigration kritisiert den Erlass gegenüber in der Zeitung Altreconomia deshalb als schwere Verletzung des Rechts auf Zugang zu Informationen. Das nun eingeschränkte Transparenz-Gesetz für öffentliche Behörden stammt aus 1990 und wurde 2013 durch ein Bürgerbeteiligungsgesetz und 2016 durch ein Bürgerzugangsgesetz ergänzt.

„Immer wieder und in zunehmendem Maße verweigern europäische Regierungen und Institutionen den Zugang zu migrationsbezogenen Informationen“, kommentiert Luisa Izuzquiza von Frag den Staat gegenüber netzpolitik.org. „Die Absicht ist klar: Sie wollen sich davor schützen, für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das italienische Geheimhaltungsdekret ist eine schwere Eskalation und muss sofort aufgehoben werden“.

 

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2 Ergänzungen

  1. Wir erleben also das der Staat, die EU immer intransparenter wird aber gleichzeitig die Überwachung aller Menschen immer weiter ausgebaut wird. Intransparenter Staat aber völlig durchleuchtete Bürger z.B. mit Chatkontrolle usw… Hier verschieben sich die Machtverhältnisse stark ungünstig zur Demokratie !

  2. >> Womöglich sind die Mittel aber zweckentfremdet oder anderswo versickert, denn weder die EU-Kommission noch der EU-Rat können mitteilen, wo sich die von ihnen finanzierte Leitstelle befinden soll. <<

    Wer von Libyen spricht, sollte Klarheit darüber schaffen, dass das Land faktisch zerfallen ist. Gingen die Zahlungen etwa irrtümlich an das von Russland unterstützte Haftar-Regime, wo Krasukha Systeme das dort empfangbare GPS-Signal stören?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.